
Überblick
0. Prolog
1. Die Idee einer Relation
1.1. Die Bezeichnung des Prädikats mit einer PK
1.2. Die Beschreibung des Prädikats mit einer IK
1.3. Inwiefern beschreibt auch die Relation klg die Beziehung kleiner gleich?
1.4. Eine oft nicht bewusst wahrgenommene Abkürzung
2. Das Sprechen über beliebige Beziehungen
3. Definition einer Relation
4. Ausblick
5. Das MSM-Skriptum zum Thema Relationen
5.1. Inhaltsverzeichnis
5.2. Eine Kostprobe
0. Prolog
Die Mengenlehre eröffnet eine Hintertür, durch die man auch ohne Variable für Prädikate über beliebige Beziehungen sprechen kann. Mit anderen Worten ist der Verzicht auf Variable für Prädikate keine wirkliche Einschränkung der Ausdrucksfähigkeit der Sprache, sobald man die Mengenlehre zur Verfügung hat.
Die Grundidee der Relationen ist weitgehend analog zur Grundidee der Abbildungen.
Diese Erstinformation beschränkt sich ohne Beschränkung der Allgemeinheit auf zweistellige Prädikate.
1. Die Idee einer Relation
Aus der Schule ist eine Beziehung zwischen zwei reellen Zahlen bekannt, die man ″kleiner gleich″ nennt.
- Eine Beziehung, die zwischen Argumenten bestehen kann oder auch nicht, heißt in der Mathematik Prädikat und muss ohne weitere Erklärung als Grundkonzept akzeptiert werden. Man kann nur über sie sprechen und dies geschieht, indem man sie mit einem Namen bezeichnet.
1.1. Die Bezeichnung des Prädikats mit einer PK
Wir nehmen nun für das mit ″kleiner gleich″ bezeichnete Prädikat den üblichen kürzeren Namen, nämlich die 2-stellige PK ≤ . Zu Lernzwecken denken wir uns das erste Argument nur aus der Menge M := { -1, 0, 5 } und das zweite Argument nur aus der Menge N := { -3, -2, 0, 3 } genommen. Dann gilt:
-1 ≤ -3 gilt nicht, -1 ≤ -2 gilt nicht, -1 ≤ 0 gilt, -1 ≤ 3 gilt
0 ≤ -3 gilt nicht, 0 ≤ -2 gilt nicht, 0 ≤ 0 gilt, 0 ≤ 3 gilt
5 ≤ -3 gilt nicht, 5 ≤ -2 gilt nicht, 5 ≤ 0 gilt nicht, 5 ≤ 3 gilt nicht
Wenn auch das Konzept eines Prädikats selbst grundsätzlich nicht weiter erklärbar ist, kann man bei diesem Beispiel das Prädikat ≤ mithilfe einer expliziten Definition auf die noch einfacheren Prädikate < und = zurückführen:
a ∈ M ∧ b ∈ N ⇒ ( a ≤ b ⇔ a < b ∨ a = b )
Die Aussage a < b ∨ a = b spielt, je nachdem sie wahr oder falsch ist, die Rolle einer Entscheidungsvorschrift, ob das Prädikat ≤ auf die Argumente a, b in dieser Reihenfolge zutrifft oder nicht.
1.2. Die Beschreibung des Prädikats mit einer IK
Man strukturiert die Daten, auf die man das Prädikat ≤ anwenden möchte, indem man jeweils aus dem ersten Argument a und dem zweiten Argument b ein geordnetes Paar bildet, z.B. ( -1 , 3 ).
- Klarerweise durchschaut man das Wesen der Beziehung ≤ auch vollkommen, wenn man alle Paare ( a , b ) kennt, bei denen a ≤ b gilt.
Wir fassen nun alle diese Paare zu einer neuen Menge zusammen, die wir mit der IK klg bezeichnen und eine Relation nennen.
klg := { ( -1, 0 ) , ( -1, 3 ) , ( 0 , 0 ) , ( 0, 3 ) }
1.3. Inwiefern beschreibt auch die Relation klg die Beziehung kleiner gleich?
Man darf sich vorstellen, dass das Gehirn blitzschnell in der Lage ist, in einem geistigen Kraftakt die vorher mit der PK ≤ bezeichnete Beziehung in ein Objekt (Menge) zu verwandeln, nämlich in die Relation klg. Der Kraftakt besteht darin, die Aufmerksamkeit von der Anwendung des Prädikats weg auf die Daten zu lenken.
Freilich geht bei dieser Art der Beschreibung die Intension (Inhalt) der Beziehung verloren, d.h. ob überhaupt und wie man eine Entscheidungsvorschrift formulieren könnte. Die Relation bzw. die Extension (Umfang) des Prädikats, d.h. die strukturierten Daten und ihre Zusammenfassung zu einer neuen Menge übernehmen selbst die Rolle einer Entscheidungsvorschrift.
- Durch die Beschreibung eines Prädikats als Relation wird es auf seinen extensionalen Aspekt reduziert und gedanklich in ein Objekt verwandelt. Das ist die Quintessenz der Idee einer Relation.
1.4. Eine oft nicht bewusst wahrgenommene Abkürzung
Will man nun z.B. behaupten, dass für die Argumente -1 und 0 in dieser Reihenfolge die Beziehung kleiner gleich besteht, und hat man sie mit einer PK ≤ bezeichnet, schreibt man -1 ≤ 0. Die Anwendung des Prädikats ≤ auf die Argumente -1 und 0 kommt durch die Syntax der atomaren Aussage -1 ≤ 0 zum Ausdruck.
Wenn man die Beziehung mit der IK klg beschrieben hat, muss man die gleiche Behauptung so schreiben: ( -1 , 0 ) ∈ klg und sagt: ″-1 steht mit 0 in der Relation klg″. Hier ist die fette Zeichenreihe eine 3-stellige PK der Mengenlehre, die kein Grundbegriff ist und daher mit mengentheoretischen Begriffen definiert werden muss. Diese Definition wird im übernächsten Abschnitt nachgeholt.
Allerdings ist es in der Literatur üblich, ″-1 steht mit 0 in der Relation klg″ syntaktisch sehr schlampig mit -1 klg 0 abzukürzen. Die Abkürzung ist deshalb syntaktisch schlampig, weil die Zeichenreihe -1 klg 0 streng genommen keine atomare Aussage ist. Sie enthält nur die drei Individuenkonstanten -1, klg und 0 und es fehlt die obige 3-stellige PK, welche die Terme -1, klg und 0 erst zu einer atomaren Aussage verbindet.
- Die bequem aber schlampig formulierte Aussage -1 klg 0 wird nicht mit der 2-stelligen PK klg gebildet ( klg bezeichnet gar kein Prädikat, sondern ein Objekt! ), sondern mit der 3-stelligen PK ″ … steht mit … in der Relation … ″ !
2. Das Sprechen über beliebige Beziehungen
Die Idee einer Relation öffnet jetzt die im Prolog angekündigte Hintertür der Mengenlehre:
In der genormten Fachsprache gibt es nur Variable für Individuen (Objekte). Wollen wir also über eine beliebige Beziehung sprechen, muss diese daher als Objekt vorliegen. Die Hintertür besteht nun darin, dass wir uns die Beziehung als Relation beschrieben denken. Dann ist sie gedanklich in ein Objekt (Menge geordneter Paare) umgewandelt. Das ist ja gerade der Clou bei der Idee einer Relation.
Bezeichne nun z.B. die Variable R eine beliebige Relation. Eine Behauptung darüber formuliert man mithilfe einer Aussage A mit der freien Variablen R.
Allerdings haben in der Mengenlehre alle Variablen den gleichen Laufbereich, nämlich beliebige Denkobjekte (Mengen). Daher muss man erklären, dass R nicht nur eine beliebige Menge bezeichnen soll, sondern eine Relation. Dies gelingt, indem wir eine solche Erklärung ″R ist eine Relation″ als eine atomare Aussage der Mengenlehre lesen, d.h. als eine Zeichenreihe, die mit der einstelligen PK ″ist eine Relation″ und dem Term (der Variablen) R gebildet wird. Eine Behauptung A über eine beliebige mit R bezeichnete Relation muss also in der Mengenlehre folgende Gestalt einer Implikation besitzen:
R ist eine Relation ⇒ A ( A … Aussage mit der freien Variablen R )
Die PK ″ist eine Relation″ ist kein Grundbegriff der Mengenlehre und muss daher mit mengentheoretischen Begriffen definiert werden.
3. Definition einer Relation
Um eine Intuition über die gewünschte Definition zu bekommen, betrachten wir die Relation klg := { ( -1, 0 ) , ( -1, 3 ) , ( 0 , 0 ) , ( 0, 3 ) }, welche die Beziehung kleiner gleich zwischen den Elementen aus M := { -1, 0, 5 } und N := { -3, -2, 0, 3 } beschreibt.
Vorher klären wir noch eine kleine Unschärfe der natürlichen Sprache. Wenn man z.B. über die Relation klg spricht, heißt dies präziser formuliert, dass die mit der IK klg bezeichnete Menge die mit der PK ″ist eine Relation″ bezeichnete Eigenschaft besitzt. Hier fließt unbewusst eine Eigenschaft des mit klg bezeichneten Objekts in seinen Namen ein (wenn Müller die Eigenschaft hat, ein Dieb zu sein, spricht man vom Dieb Müller).
Die ersten Komponenten der geordneten Paare in klg sind (nicht unbedingt alle) Elemente von M. Die zweiten Komponenten sind (nicht unbedingt alle) Elemente von N.
- Daher ist klg eine Teilmenge von M × N, also klg ⊆ M × N .
In einer langen Entwicklung der Mathematik hat sich herausgestellt, dass die an der Relation klg eingesehene Eigenschaft eine taugliche Charakterisierung jeder beliebigen Relation R ist.
Definition:
R ist eine Relation zwischen M und N ⇔ R ⊆ M × N
- Die Zeichenreihe ″… ist eine Relation zwischen … und …″ ist eine 3-stellige PK.
R ist eine Relation auf M ⇔ R ist eine Relation zwischen M und M
- Die Zeichenreihe ″… ist eine Relation auf …″ ist eine 2-stellige PK.
R ist eine Relation ⇔ es existieren M, N , sodass R ist eine Relation zwischen M und N
- Das ist die im Abschnitt 2. ersehnte Definition.
Definition:
R ist eine Relation ⇒ ( a steht mit b in der Relation R ⇔ ( a, b ) ∈ R )
- ″a steht mit b in der Relation R″ wird schlampig abgekürzt mit a R b
Bemerkungen:
In der Fachliteratur wird statt des Wortes ″Abbildung″ oft auch das Wort ″Funktion″ verwendet. Eine Abbildung beschreibt ja auch eine Funktion. Wenn man beim Wort ″Abbildung″ bleibt, tritt allerdings der subtile Unterschied zwischen einem nicht definierbaren Grundkonzept (Funktion) und einem mengentheoretisch definierbaren Begriff (Abbildung) stärker hervor. Dieser Effekt tritt auch durch das einheitlich verwendete Wort ″Relation″ ein, weil das nicht definierbare Grundkonzept Prädikat von dem mengentheoretisch definierbaren Begriff Relation abgehoben ist.
Eine Abbildung ist ein Spezialfall einer Relation in dem Sinn, dass eine Abbildung f von M nach N eine Relation R zwischen M und N ist, bei der zusätzlich ″für alle x ∈ M existiert genau ein y, sodass ( x, y ) ∈ R″ gilt. Deshalb werden in der Literatur meist die Relationen vor den Abbildungen abgehandelt. Das MSM macht es gerade umgekehrt. Einerseits schadet es nicht, die Intuitionen zu wiederholen und andererseits soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass das nicht weiter erklärbare Grundkonzept einer Funktion als ein Spezialfall des ebenso nicht weiter erklärbaren Grundkonzepts eines Prädikats betrachtet wird.
4. Ausblick
Prädikate kann man nur auf Individuen anwenden. Daher ist es scheinbar nicht möglich, über Eigenschaften von Prädikaten zu sprechen. Weil durch die Beschreibung eines Prädikats als Relation die betrachtete Beziehung als Objekt vorliegt, kann man auch interessante Eigenschaften von Beziehungen definieren und weiteres Wissen über solche Beziehungen ableiten, z.B.:
R ist eine Relation ⇒ ( R ist transitiv ⇔ für alle a, b, c : a R b ∧ b R c ⇒ a R c )
Unter den zweistelligen Relationen spielen die so genannten Äquivalenzrelationen eine besondere Rolle. Im MSM werden die Eigenschaften dieser Relationen definiert und die wichtigste Wissensbasis über sie bewiesen, nämlich dass jede Äquivalenzrelation eine Partition erzeugt und umgekehrt.
Wenn man Mengen bzw. deren Elemente eine gewisse Ordnungsstruktur aufprägen möchte, braucht man Ordungsrelationen, die es gestatten, die Elemente ″anordnen″ zu können. Auch den Eigenschaften von Ordnungsrelationen wird im MSM ein Abschnitt gewidmet. Die Betrachtung von Ordnungsstrukturen ist eine unverzichtbare Arbeitstechnik in der ″modernen″ Algebra, wo die Mathematik als eine Schatzkiste von multiplen abstrakten Strukturen gesehen wird.
Mit den fünf Seminarthemen Fachsprache, Beweisen, Mengenlehre, Abbildungen und Relationen ist der geistige ″Werkzeugkasten″ für die Infrastruktur mathematischen Arbeitens komplett.
Algebraische Strukturen, reelle Zahlen und Matrizenrechnung sind elementare Themen aus der Analysis und linearen Algebra, die keinem Studienanfänger erspart bleiben. Das routinemäßige Beherrschen der Werkzeuge kann im MSM je nach Lust und Laune anhand dieser Seminarthemen weiter geschärft werden.
5. Das MSM-Skriptum zum Thema Relationen
5.1. Inhaltsverzeichnis
Beachte den Hinweis beim Seminarthema Fachsprache im dortigen Abschnitt 15.1. !
5.2. Eine Kostprobe